Umweltschädliche Produkte und Verfahren müssen stärker besteuert werden, sonst gelingen Klimaschutz und die Energiewende nicht, sagt der ehemalige Finanzminister Hans Eichel (SPD). Auch als 75-jähriger Polit-Pensionär denkt er darüber nach, wie man mit Steuern die Welt verändern kann. Er fordert eine Neuauflage der ökologischen Steuerreform und eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen. Eine Ökosteuer sei nötig, um der Menschheit das Überleben auf unserem Planeten zu ermöglichen.
klimaretter.info: Herr Eichel, beneiden Sie Wolfgang Schäuble?
Hans Eichel: Aus dem Neid-Alter bin ich längst raus. Wenn Sie auf die Lage des Bundeshaushalts anspielen: Ich freue mich, dass sie so gut ist.
Der Bundesfinanzminister will Geld in die Tilgung der Staatsschulden stecken. Spätere Generationen werden ihm dankbar sein, oder?
Das kommt darauf an. Wenn man Investitionen unterlässt, die für künftigen Wohlstand nötig sind, zum Beispiel in Bildung und Forschung, und die Infrastruktur verfallen lässt, sind das auch Schulden, die die nächste Generation bezahlen muss.
Der deutsche Staat investiert seit Jahren zu wenig, Straßen und Autobahnen vergammeln, in den Schulen bröckelt der Putz. Ist der Staat zu arm, obwohl er so viel einnimmt?
Der Staat könnte ja aus laufenden Überschüssen oder mit Krediten, die ihn gegenwärtig fast nichts kosten, investieren. Aber er hat seine Verwaltung kaputtgespart, sodass es jetzt zu wenig ausführungsreife Projekte gibt.
Stimmt die Einnahmen-Struktur denn generell?
Nein. Steuern auf hohe Einkommen und Unternehmenssteuern bei global tätigen Unternehmen müssen wesentlich mehr beitragen. Vor allem aber müssen umweltschädliche Produkte, Stoffe, Verfahren weitaus stärker besteuert werden, sonst gelingen Klimaschutz, Energiewende, Verkehrswende und Kreislaufwirtschaft nicht.
In ihrer Amtszeit haben Sie die ökologische Steuerreform durchgeführt. Jetzt engagieren sie sich für eine „Ökosteuer 2.0“. Was ist das Ziel?
Ziel ist, die Klima- und Ressourcenschutz-Ziele zu erreichen, die der Menschheit nachhaltig ein Überleben auf unserem Planeten möglich machen. Die Umweltsteuern haben heute einen kleineren Anteil am Steuer- und Abgabenaufkommen als vor der Ökosteuerreform von Rot-Grün. So verfehlen wir alle Klimaziele. Das ist unverantwortlich.
Damals haben Opposition, Industrie und Medien gegen den Umbau gepowert. Wollen Sie eine zweite „Benzinwut“ vom Zaun brechen?
Die Ökosteuer hat jedenfalls alle Regierungswechsel überlebt. Und nun ist die Welt – außer Donald Trump – sich einig, dass wir aus der Nutzung der fossilen Brennstoffe aussteigen müssen, so schnell wie möglich. Ein Instrument dazu ist eine CO2-Steuer. Sie findet weltweit große Unterstützung.
Und da geht es nicht nur ums Autofahren. Daneben gibt es viele umweltschädliche Subventionen bei den Staatsausgaben und im Steuerrecht. Sie müssen abgebaut werden. Beispiele: Steuerbefreiung für Kerosin, eine Dienstwagenbesteuerung, die umweltschädliche Autos begünstigt. Grundsätzlich muss gelten: Umweltschädigung wird teurer, Umweltschonung billiger. Das ist ein effektiver und marktwirtschaftlicher Weg in der Umweltpolitik.
„Rasen für die Rente“, hieß es damals auch. Tatsächlich wurden die Rentenbeiträge gesenkt, und es entstanden laut Studien bis zu 250.000 neue Jobs. Was schlagen Sie heute vor? Was soll mit den Einnahmen gemacht werden?
Nach wie vor ist eine Entlastung des Faktors Arbeit vernünftig, die Arbeitslosigkeit kann weiter gesenkt werden. Und der Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise sollte gefördert werden, im Verkehr zum Beispiel durch Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auch in der Fläche.
Was halten Sie von der Idee, die Ökosteuer variabel zu gestalten? Motto: niedrige Rohölpreise – hohe Steuer, hohe Rohölpreise – niedrige Steuer?
Nur auf den ersten Blick scheint das plausibel. Dann aber zeigt sich: Das ist schwierig umzusetzen, könnte ein Anreiz für die Ölkonzerne sein, höhere Preise auf Kosten der Staatshaushalte zu erzielen. Rot-Grün ist seinerzeit einen anderen Weg gegangen: Periodisch kleinere Erhöhungen der Ökosteuer; darauf können sich alle Marktteilnehmer einstellen und ihr Verhalten entsprechend ändern.
Arme Haushalte trifft eine Ökosteuer viel härter als reiche. Der Porsche-Fahrer steckt das weg, wer einem Uralt-Polo fährt, nicht. Was tun?
Für Bezieher kleiner Einkommen einen direkten Ausgleich schaffen oder ihnen durch hohe Zuschüsse die Möglichkeit geben, ein umweltfreundlicheres Auto zu erwerben.
Der Klima-Ökonom Professor Ottmar Edenhofer schlägt vor, die Einnahmen allen Bürgern gleichmäßig per Scheck zurückzugeben? Gute Idee?
Prinzipiell ja; denn darin steckt auch eine hohe Einkommens-Umverteilungskomponente von oben nach unten. Den notwendigen Strukturwandel würde allerdings zum Beispiel die Bezuschussung des Kaufs umweltfreundlicher Autos oder Haushaltsgeräte bei Beziehern kleiner Einkommen stärker voranbringen. Nur ist auch das nicht einfach umzusetzen.
Die Wende gelingt nur mit ökologisch ausgerichten Steuern.
Sehen Sie denn überhaupt eine Chance, die Ökosteuerreform 2.0 umzusetzen? Welche Koalition würde das machen?
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, eine Reihe Umwelt- und Wirtschaftsverbände und auch eine Gewerkschaft bilden zurzeit ein breites Bündnis, um Ansätze für eine Ökosteuer-Reform in die Wahlprogramme möglichst aller Parteien hineinzubringen. Das ist Voraussetzung für eine Umsetzungschance nach der Bundestagswahl im Herbst.
Wenn sich allerdings der bayerische Finanzminister mit seiner Forderung durchsetzt, keinen einzigen Steuersatz zu erhöhen, kann es keine Öko-Steuerreform geben. Das ist die festgeschriebene Gedankenlosigkeit und das Verbot jeder Innovation im Steuersystem.
Es geht ja nicht um ein höheres Steueraufkommen, sondern um eine andere Steuerzusammensetzung, Steuern, die helfen, unseren Planeten bewohnbar zu halten, unsere Wirtschafts- und Lebensweise entsprechend umzubauen und zu modernisieren. Das ist eine große Herausforderung, eine Riesenchance, aber auch unsere einzige Chance.
Wolfgang Schäuble war in den 1990er Jahren selbst einmal ein Anhänger der Ökosteuer. Haben Sie ihn mal gefragt, warum er später nichts mehr davon wissen wollte?
Nein, aber bei nächster Gelegenheit sollte ich ihn fragen.
Interview: Joachim Wille
Der SPD-Politiker Hans Eichel war von 1999 bis 2005 Bundesfinanzminister in der rot-grünen Bundesregierung. Der gebürtige Kasseler studierte Germanistik, Philosophie, Politik, Geschichte und Pädagogik und arbeitete einige Jahre als Gymnasiallehrer. Als 33-Jähriger wurde er 1975 in seiner Heimatstadt jüngster Oberbürgermeister Deutschlands. Dort war er der erste, der eine rot-grüne Koalition in einer Großstadt salonfähig machte.
1991 wurde Eichel hessischer Ministerpräsident, ebenfalls mit Rot-Grün. Er regierte bis 1999, als sein CDU-Konkurrent Roland Koch in der Landtagswahl mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mehr Stimmen holte. Als Oskar Lafontaine als erster Finanzminister von Rot-Grün im Bund 1999 zurücktrat, holte der damalige Kanzler Gerhard Schröder Eichel als Nachfolger in sein Kabinett. In seine Amtszeit fiel unter anderem die Einführung der ökologischen Steuerreform.
Als Pensionär engagiert sich Eichel weiterhin für das Thema Nachhaltigkeit. Er ist Beiratsvorsitzender des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), das sich für den Abbau von umweltschädlichen Subventionen und ein ökologisch verträgliches Steuersystem einsetzt.
Quelle: Klimaretter.info, 6.3.2017
http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/22753-wir-brauchen-eine-neue-oekosteuer
vgl. Keine Ökosteuer auf Solarstrom