Sechstausend gegen Braunkohle

Mehr Menschen als erwartet machen bei der Anti-Kohle-Kette im Rheinischen Braunkohlerevier mit. Über mehr als sieben Kilometer markieren sie damit die Linie, an der die Bagger im Tagebau Garzweiler stoppen müssten, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann.

Es war die mit Abstand größte Protestaktion, die das Rheinische Braunkohlerevier zwischen Köln, Mönchengladbach und Aachen je gesehen hat. Drei Minuten nach 14 Uhr war die Kette geschlossen. Siebeneinhalb Kilometer weit hielten Menschen sich an der Hand, teilweise mit gelben Bändern verbunden.

Auch dreißig Landwirte aus der Region reihten sich mit ihren Traktoren in die Menschenkette ein. Ein Traktor war wie einer der gigantischen Schaufelradbagger ausstaffiert, bloß um den Faktor 100 kleiner als die Ungetüme, die im Tagebau Garzweiler 35 bis 45 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr fördern.

Tausende waren zusammengekommen, um gegen die Förderung und Verstromung von Braunkohle im Rheinischen Revier zu demonstrieren. 6.000 waren es nach Veranstalterangaben. Gerechnet worden war mit 5.000 Demonstranten. „Das ist ein starkes Signal an die Politik in Düsseldorf, Berlin und Brüssel: Wir wollen eure Kohle nicht!“, sagte Dirk Jansen vom Umweltverband BUND Nordrhein-Westfalen. Braunkohle sei „ökologisch verheerend, sozial unverträglich und klimapolitisch fatal“.

„Wir kämpfen für unsere wertvollen Böden“, stand auf einem der landwirtschaftlichen Fahrzeuge, „Intelligente Technologie statt Großkraftwerke“ forderte ein anderes. In der Ortschaft Lützerath – in ein paar Jahren wird der Tagebau Garzweiler bis hierher vordringen, viele sind schon jetzt weggezogen – sangen Einheimische: „Kinder, lass uns tanzen, bis der Bagger kommt.“ Immer wieder tanzte auch die Menschenkette in La-Ola-Wellen. Trotz Regenwetter war die Stimmung gelöst und heiter.

„In vier Jahren müssen wir hier weg“

„Die Kette war ein großer Erfolg“, sagte Mitorganisatorin Steffi Langkamp, Kohlekraft-Expertin der Klima-Allianz, eines bundesweiten Bündnisses aus weit über hundert Organisationen, Initiativen, Kirchen-, Kommunal- und Gewerkschaftsverbänden. Menschen seien aus ganz Deutschland und sogar aus den Niederlanden, Frankreich und Polen angereist. Langkamp bekräftigte: „Die Menschen wollen den Kohleausstieg, die Kohleförderung muss gedrosselt werden.“

Auch der Landwirt Eckardt Heukamp reihte sich mit seinem Traktor in die Menge ein. Er ist einer der Letzten, die noch in Lützerath ausharren. „In vier Jahren müssen wir hier weg“, berichtet er. Heißt: Er muss sich mit Mitte 50 neues Land suchen und einen neuen Betrieb aufbauen. RWE bietet einstiges Tagebaugelände als Ersatz an. Doch Heukamps bisherige Äcker seien erheblich besser: „Hier hat sich in Jahrtausenden eine Lösschicht von 30 Metern Tiefe gebildet, RWE hat einen Meter aufgeschüttet.“ Die Körpersprache des 50-Jährigen signalisiert: Er hält das für keinen guten Tausch. Insgesamt werden über 7.000 Menschen für den Tagebau Garzweiler umgesiedelt.

Auf einer Abschlusskundgebung im Herzen der verlassenen Ortschaft Immerath sprachen vom Bergbau Betroffene. Der aus den 1980er-Jahren bekannte Popsänger und Songschreiber Purple Schulz, der selbst im Rheinischen Revier wohnt, spielte auf.

Inhaltlich stützen die Organisatoren sich auf drei Hauptargumente: Kohlekraft zerstöre erstens das Klima, zweitens ganze Dörfer und Landschaften, drittens gefährde sie die Gesundheit durch den Ausstoß von Feinstaub, Quecksilber und Arsen. RWE betreibt im Rheinischen Revier mehrere Tagebaue, von denen zuletzt vor allem der Tagebau Hambach umstritten war. Drei der dort beheimateten RWE-Kraftwerke zählen zu den fünf klimaschädlichsten Industrieanlagen Europas. Platz zwei in diesem Ranking der EU belegt das 2012 in Anwesenheit von SPD- und CDU-Prominenz feierlich eingeweihte „größte Braunkohlekraftwerk der Welt“ in Grevenbroich-Neurath. Auf den Plätzen drei und fünf liegen die Nachbarn in Bergheim-Niederaußem und Eschweiler-Weisweiler.

Massenprotest gegen RWE schien lange unmöglich

Organisiert wurde die Demonstration von einem Bündnis aus den großen Umweltverbänden, der Klima-Allianz, der Zivilgesellschaftsplattform Campact, kirchlichen Würdenträgern mittleren Ranges und lokalen Bürgerinitiativen. Die Aktion war durchaus ein Wagnis, ein Misserfolg schien nicht ausgeschlossen: Lange Jahre galt es auch unter Umweltschützern als ausgemacht, dass es im Rheinischen Revier niemals zu Massenprotesten gegen die Kohle kommen würde. Eine Anti-Braunkohle-Demonstration mit 7.500 Teilnehmern wie im letzten Sommer in der brandenburgischen Lausitz erschien undenkbar.

Von Waldbesetzungen, blockierten Zügen und „Klimacamps“ zeigt sich im Rheinischen Revier nur ein geringer Teil der Einheimischen begeistert, zumal mit RWE der wichtigste Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler der strukturschwachen Region attackiert wird, der von der Förderung bis zur Verstromung an der Braunkohle verdient. Im Umland finden sich mit Köln und Aachen zwar zwei urbane Zentren mit universitären und linken Milieus, doch war einer breiteren Masse dort lange unbekannt, dass sich vor der eigenen Haustür eine der klimaschädlichsten Regionen des Planeten befindet.

Auch die mitregierenden Grünen riefen auf

Auch die großen landespolitischen Schlachten schienen geschlagen: Die erste rot-grüne Regierung in Düsseldorf von 1995 bis 2005 stand wegen der Erweiterung des Tagebaus Garzweiler mehr als einmal vor dem Koalitionsbruch. Die 2010 gestartete Neuauflage von Rot-Grün kündigte im letzten Jahr an, das Abbaugebiet begrenzen zu wollen. Was die Braunkohle betrifft, beharken sich die Landes-Grünen lieber mit Klima-Aktivisten als mit ihrem größeren Koalitionspartner.

Gleichwohl hatte auch der grüne Landesverband zur Teilnahme an der Menschenkette aufgerufen. „Braunkohleabbau ist die schmutzigste Art der Energiegewinnung“, begründete dies Landessprecherin Mona Neubaur. Um den Klimawandel noch stoppen zu können, müsse ein Großteil der fossilen Energieträger im Boden bleiben. „Kohle ist Vergangenheit – Sonne und Wind gehört die Zukunft“, so die Grünen-Politikerin.

Quelle: www.klimaretter.info, 25.4.2015