Globaler Klimastreik, deutsches Klimapaket und UN-Klimagipfel in New York – was nach viel klingt, hält der genauen Analyse nicht stand. Die Reaktionen auf das deutsche Klimapaket sind zu Recht durchwachsen, denn klar ist: Ein großer Wurf ist das Klimapaket nicht.
Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag das Ziel von 65 Prozent Erneuerbarer Energien im Stromsektor bis 2030 gesetzt. Um das zu erreichen, müssten unter anderem Ausbaupfade deutlich erhöht, die erforderlichen Flächen und Genehmigungen bereitgestellt und vorhandene Deckel, von der Photovoltaik, über den Biogas-Flexdeckel bis zu Offshore-Wind, gestrichen werden. Das hatte der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) in seinem 65-Prozent-Szenario im Mai 2019 vorgerechnet. Tenor der Branche ist seit Langem: Die politischen Rahmenbedingungen müssen sich dringend ändern, damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangeht. Die Beschlüsse des Klimakabinetts greifen hier viel zu kurz.
Als am 20. September die lang ersehnte Pressekonferenz mit Vertreter*innen des Klimakabinetts unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Beschlüsse bekannt gab, ließen die Reaktionen nicht lang auf sich warten: „Dokument der politischen Mutlosigkeit“, nannte Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), das Papier, Cerstin Gammelin kommentierte für die Süddeutsche Zeitung, dass die Bundesregierung ein „gigantisches 50-Milliarden-Euro-Paket voller Klein-Klein geschnürt [habe]“ und Werner Eckert vom SWR nannte die Beschlüsse „unangemessen“.
Mit Spannung wurde die Einigung zu CO2-Preis und Emissionshandel erwartet. Laut Beschluss des Klimakabinetts soll die CO2-Bepreisung für Verkehr und Gebäude 2021 mit zehn Euro pro Tonne starten und bis 2025 auf 35 Euro steigen. Benzin und Diesel würden dadurch anfänglich drei Cent und am Ende 10,5 Cent pro Liter teurer. Im Gegenzug soll die Pendlerpauschale ab 20 Kilometer von 30 auf 35 Cent pro Kilometer angehoben werden. Vom geplanten CO2-Preis erwarte sie „keinerlei Lenkungswirkung“, sagte etwa Maria Krautzberger, Chefin des Umweltbundesamts (UBA), gegenüber der Frankfurter Rundschau. Krautzbergers Einschätzung bildet den aktuellen Stand der Forschung ab: Das PIK und andere Institute fordern einen Einstiegspreis von 50 Euro je Tonne CO₂ von 2020, der bis 2025 auf etwa 80 Euro je Tonne steigen müsste. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte ebenfalls einen Preis errechnet: Die Berliner Forscher*innen kamen auf eine Preisspanne zwischen 35 und 80 Euro je Tonne CO₂.
Windenergie an Land ist der große Verlierer
Für die Windenergie-Branche wird vor allem spannend, ob sich das Klimapaket durch den Bundesrat nochmals verschärfen lässt. Die Ausschreibemengen für Windenergie an Land wurden in den GroKo-Beschlüssen überhaupt nicht angehoben, der Zubau bezieht sich nur auf Offshore-Anlagen. Auch die Einführung pauschaler Abstandsreglungen bauen weitere Hürden für die Windenergie an Land auf. „Damit wird die Regional- und Landesplanung ins Chaos gestürzt“, teilt der Bundesverband WindEnergie diesbezüglich in einer Pressemeldung mit.
Eine gute Nachricht für die Solar-Branche ist aber der Wegfall des Solarstrom-Deckels. „Die Streichung des Förderdeckels für Solardächer wird in letzter Minute einen Markteinbruch abwenden, wenn sie jetzt umgehend gesetzlich fixiert wird. Insgesamt bleibt das Eckpunktepapier aber eher zaghaft und vage. Statt den Solarturbo zu starten, knüpft man einen fluglahmen Flickenteppich“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW).
Als inkonsequent wird das Thema Öl- und Gasheizung innerhalb der Branche bewertet, weil gerade die Formulierung „Technikoffenheit“ im Klimapaket zeigt, dass sich die Bundesregierung Hintertüren offenlässt: neben Heizungstechnologien mit Erneuerbaren Energien können auch solche mit fossilen Energieträgern weiter gefördert werden. Der Einbau von Ölheizungen wird ab 2026 zwar nicht mehr gestattet, sofern eine klimafreundlichere Wärmeerzeugung möglich ist. Diese Maßnahme wird aber durch die Tatsache abgeschwächt, dass Ölheizungen in Kombination mit klimafreundlichen Wärmeerzeugern als Hybridanlagen weiterhin verbaut werden dürfen – so zumindest die Einschätzung des Bundesverbands Wärmepumpe. Chancen für die Wärmewende könnten der Um- und Ausbau von Wärmenetzen bieten. Laut Klimapaket sollen diese zunehmend auf Erneuerbare Energien umgestellt werden.
Auch im Verkehr gibt es nicht viel Grund zum Jubeln. Obwohl gerade in diesem Sektor großer Handlungsbedarf besteht. 2018 deckten Biokraftstoffe und Erneuerbarer Strom nämlich nur 5,6 Prozent des gesamten Energieverbrauchs im Verkehr. Die Beschlüsse des Klimakabinetts zur Verkehrswende werden als wenig wirkungsvoll von der Presse bewertet: Vor allem die Pendlerpauschale führt zu der Gleichung: „Wer mehr Auto fährt, bekommt mehr Geld“. Das geht aus Berechnungen des DIW hervor, auf die sich Spiegel Online bezieht. Ein kleiner Lichtblick: Die Bahn soll stärker elektrifiziert und die Tickets etwas günstiger werden, weil die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent sinkt.
Minderung für Treibhausgase wurden gestrichen
Die Bundeskanzlerin war zwei Tage nach dem Beschluss nach New York gereist, um die Ergebnisse „ihres“ Klimakabinetts zu präsentieren. Und auch hier geriet die Kanzlerin unter Rechtfertigungsdruck, wie die faz berichtete: „In New York verteidigte sie die Politik der kleinen Schritte offensiv. Sie präsentierte das deutsche Förderprogramm in Höhe von 54 Milliarden Euro und hob die Bedeutung des Emissionshandels hervor.“ Das Bundeskabinett hat das Klimapaket der Koalition mittlerweile gebilligt. Für manche Vorgaben müssen Gesetze geändert werden, was die Deutsche Energie-Agentur (dena) in ihrer Analyse „legislative Herausforderungen“ nennt. Spannend wird, ob der Bundesrat Einwände hat. Dabei spielen nicht nur die Grünen, sondern alle Minister*innen der Länder – ganz unabhängig vom Parteibuch – eine entscheidende Rolle: Gerade dort, wo die Onshore-Windkraft wichtig ist, könnten die Minister*innen vor allem mit Blick auf die Wirtschaft in ihrem Bundesland den Druck erhöhen.
Wurde der geplante Monitoring-Prozess anfangs noch als Erfolg gewertet, machte sich am Freitag, 27. September, abermals Enttäuschung breit. Die SZ berichtete, dass aus dem Entwurf der Bundesregierung für das Klimaschutzprogramm die Minderungsziele für Treibhausgase verschwunden seien. „Die Folge könnte sein, dass sich, anders als bei früheren Klimaprogrammen, nicht nachvollziehen lässt, ob einzelne Maßnahmen das Erhoffte tatsächlich erbringen“, schreibt Michael Baumüller für die SZ. Spätestens damit ist klar, dass nicht messbar ist, ob die gewünschte Wirkung der Maßnahmen eintritt oder ausbleibt. Wie also prüfen, ob die Regierung nachsteuern muss, wenn die Ressorts nicht liefern?
Für die Erneuerbare-Energien-Branche ist das Klimapaket also kein großer Wurf. Auch mit Blick auf das 65-Prozent-Ziel lässt sich heute schon sagen: So wird das nichts!
Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht.
Quelle: Agentur für Erneuerbare Energien e.V., 30.09.2019
www.unendlich-viel-energie.de
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