GESETZLICHE REGELUNG DER OPTISCH BEDRÄNGENDEN WIRKUNG: VORFAHRT FÜR DIE WINDENERGIE!

LEE NRW

Die Frage der optisch bedrängenden Wirkung von Windenergieanlagen (WEA) beschäftigt seit vielen Jahren die Gerichte. Nunmehr hat der Bundesgesetzgeber mit § 249 Abs. 10 BauGB ein Machtwort gesprochen und dabei die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien als Maßstab zugrunde gelegt. Dr. Oliver Frank, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, erläutert die neue Regelung und ihre Auslegung durch die Rechtsprechung.

Bisherige Rechtsprechung und die damit verbundene Rechtsunsicherheit

Das OVG Münster hat bereits im Jahr 2006 entschieden, dass WEA gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoßen können, wenn sie sich als optisch bedrängend darstellen. Dabei hat das Gericht auf eine Rechtsprechung Bezug genommen, die sich mit der erdrückenden Wirkung von Bauwerken beschäftigt. Zwar komme WEA aufgrund ihrer schlanken Bauweise keine erdrückende Wirkung zu; insbesondere die Drehbewegung ihres Rotors könne aber auf Dauer unerträglich sein, wenn sich der Rotor im Blickfeld eines Betroffenen befinde und es diesem unmöglich oder unzumutbar sei, dem Blick auf die WEA auszuweichen. Das OVG Münster hat daraufhin eine sehr detaillierte Rechtsprechung begründet und erläutert, welche Gesichtspunkte für und gegen das Vorliegen einer optisch bedrängenden Wirkung sprechen. Dabei hat es auch Daumenwerte entwickelt, die dabei helfen sollten, das mögliche Vorliegen einer Bedrängungswirkung zu prüfen. Betrage der Abstand zwischen WEA und Wohnhaus mehr als das Dreifache der Gesamthöhe der Anlage, so stelle sich diese in der Regel nicht als optisch bedrängend für die dortigen Bewohner dar. Sei die WEA weniger als das Zweifache ihrer Gesamthöhe entfernt, so liege regelmäßig ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor. Bei einem Abstand zwischen dem Zwei- und dem Dreifachen müsse eine besonders intensive Prüfung des Einzelfalls durchgeführt werden.

Diese Rechtsprechung hat in der Vergangenheit zu Verunsicherungen geführt, da Vorhabenträger bei einem Abstand zwischen der zwei- und dreifachen Gesamthöhe der WEA zu dem betroffenen Wohnhaus Sichtbeziehungsgutachten im Genehmigungsverfahren erstellen lassen mussten. Es bestanden insoweit Unsicherheiten, da in einigen Fällen schlecht vorhersehbar war, wie ein durch einen Nachbarn angerufenes Gericht die Frage der bedrängenden Wirkung schließlich beurteilen würde. Anders als z.B. in Schallfragen hieß es hierbei „hopp oder top“; nahm das Gericht eine optisch bedrängende Wirkung an, so war damit die BImSch-Genehmigung rechtswidrig und eine bereits errichtete WEA musste schlimmstenfalls zurückgebaut werden.

Neue Gesetzgebung

Diese Problematik hat der Bundesgesetzgeber nunmehr weitgehend aus dem Weg geräumt. So gilt seit dem 01. Februar § 249 Abs. 10 BauGB, wonach der öffentliche Belang einer optisch bedrängenden Wirkung einem Windenergievorhaben in der Regel nicht entgegensteht, wenn der Abstand von der Mitte des Mastfußes der WEA bis zu einer zulässigen baulichen Nutzung zu Wohnzwecken mindestens der zweifachen Gesamthöhe der WEA entspricht. Eine erste Entwurfsfassung dieser Vorschrift ging sogar noch weiter und besagte, dass ein Abstand von 300 m zwischen WEA und Wohnhaus regelmäßig ausreichen sollte. Der schließlich beschlossene § 249 Abs. 10 BauGB verringert den bislang in der Rechtsprechung anerkannten Abstandwert von 3 H auf 2 H, denn nunmehr führt bereits das Einhalten der zweifachen Gesamthöhe als Abstandswert „in der Regel“ dazu, dass sich die WEA nicht als optisch bedrängend darstellt.

Urteile des OVG Münster

Das OVG Münster hat bereits zwei Tage nach Inkrafttreten des § 249 Abs. 10 BauGB mit Urteilen vom 03.02.2023 – 7 D 298/21.AK und 7 D 299/21.AK – festgehalten, dass eine bedrängende Wirkung bei Einhaltung bzw. Überschreitung von 2 H nur in atypischen Konstellationen in Betracht kommt und nach einem strengen Maßstab zu beurteilen ist. Dies begründet das Gericht damit, dass dem Gesetzgeber diejenigen Gesichtspunkte, die im Rahmen der Einzelfallprüfung des Vorliegens einer optisch bedrängenden Wirkung gemäß Rechtsprechung typischerweise zu berücksichtigen sind, bei Schaffung der Norm bekannt waren. Dabei geht es vor allem um folgende Gesichtspunkte: unterschiedliche Rotorgrößen und Rotorstellungen in Abhängigkeit von der Hauptwindrichtung, unterschiedliche Gegebenheiten auf dem schutzbedürftigen Wohnhausgrundstück hinsichtlich Ausrichtung der Räume und vorhandenen oder fehlenden Sichtschutzes, Sichtschutzeffekte durch Vegetation oder bauliche Anlagen sowie unterschiedliche Gegebenheiten in der Umgebung hinsichtlich topographischer Höhendifferenzen. Laut OVG Münster ging der Gesetzgeber davon aus, dass auch bei der hinsichtlich dieser Aspekte für den Anlagennachbarn ungünstigsten Konstellation die Regel greifen und eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung durch eine WEA nicht gegeben sein soll. Dies begründet das OVG ergänzend mit dem seit Ende Juli 2022 geltenden § 2 EEG, wonach die Errichtung und der Betrieb von WEA im überragenden öffentlichen Interesse liegt und die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden sollen, bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist.

Die Urteile des OVG Münster verdeutlichen, dass bei Einhalten eines Abstandes von 2 H zwischen Wohnhaus und WEA eine optisch bedrängende Wirkung praktisch ausgeschlossen ist, wie dies vor der Gesetzesänderung beim Einhalten eines Abstandswertes von 3 H der Fall war. Dadurch ergibt sich eine deutlich größere Rechtssicherheit im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung u.a. des 8. Senats des OVG Münster. § 249 Abs. 10 BauGB begünstigt auch Genehmigungsinhaber, deren Genehmigung schon vor Inkrafttreten der Vorschrift erteilt wurde, da es sich insoweit um eine für den Vorhabenträger günstige Rechtsänderung handelt; darauf weist das OVG Münster in den Urteilen vom 03.02.2023 ausdrücklich hin.

Beträgt der Abstand zwischen Wohnhaus und WEA weniger als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage, so ist die Regelvermutung des § 249 Abs. 10 BauGB nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht anwendbar. Es ist dann eine intensive Einzelfallprüfung durchzuführen, wie dies bis Inkrafttreten der neuen Vorschrift bei einem Unterschreiten von 3 H der Fall gewesen ist. Die derzeit teilweise vertretene Auffassung, WEA stellten sich bei Unterschreiten von 2 H per se oder zumindest im Regelfall als optisch bedrängend dar, findet im Wortlaut von § 249 Abs. 10 BauGB hingegen keine Stütze und widerspricht § 2 EEG. Hätte der Gesetzgeber 2 H als festen Mindestabstandswert vorgeben wollen, so hätte er dies ausdrücklich in § 249 Abs. 10 BauGB festschreiben müssen. Dass dies nicht geschehen ist, verdeutlicht, dass bei Unterschreiten von 2 H eine optisch bedrängende Wirkung gerade nicht automatisch anzunehmen ist. Vorhabenträger sind dennoch gut beraten, einen Abstand von 2 H möglichst einzuhalten, weil ihnen nur dies ausreichende Sicherheit hinsichtlich der Vereinbarkeit ihres Vorhabens mit dem Rücksichtnahmegebot bietet.

Fazit

Zu hoffen bleibt, dass auch Genehmigungsbehörden § 249 Abs. 10 BauGB ernst nehmen und bei Einhalten eines Abstandswertes von 2 H nunmehr auf die Vorlage von Sichtbeziehungsstudien verzichten. Der Bundesgesetzgeber hat mit Schaffung der neuen Vorschrift jedenfalls verdeutlicht, dass er die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien, wie sie in § 2 EEG festgeschrieben ist, auch im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots berücksichtigt und WEA damit bei Einhalten von 2 H grundsätzlich Vorfahrt gegenüber nachbarlichen Belangen einräumt.

Quelle: Landesverband Erneuerbare Energien NRW e. V. (LEE NRW) vom 25.4.2023
www.lee-nrw.de

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