Als Schicksalsfrage bezeichnet Angela Merkel den Klimawandel in ihrer Neujahrsansprache – und lässt dazu Aufnahmen der Erde aus dem All einblenden. Ein Anzeichen, dass die Kanzlerin ihre Klimapolitik beherzter angehen wird? Wahrscheinlich nicht – zu oft hat Merkel schon vom Klima geredet und nichts getan.
Es war ihre 14. Neujahrsansprache, doch am vergangenen Silvesterabend war etwas anders. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ während ihrer Rede erstmals Bilder einblenden. Üblicherweise bekommen die Deutschen während der Ansprache nur ihre Regierungschefin zu sehen. Doch am Montagabend zeigten ARD und ZDFneben der Bundeskanzlerin auch Bilder, die der Astronaut Alexander Gerst in den vergangenen Monaten von der internationalen Raumstation ISS geschickt hat.
Diese Bilder, kommentierte Merkel, geben eine neue Sicht auf unseren Planeten. Auf den Fotos seien Naturgewalten wie Hurrikans zu sehen, aber auch „mitteleuropäische Landschaften, die in diesem ungewöhnlich trockenen Sommer auch aus dem All braun statt grün aussahen“. Die Bilder verdeutlichten die „Verletzlichkeit unserer Lebensgrundlagen“. Deshalb sei die „Schicksalsfrage des Klimawandels“ die Herausforderung unserer Zeit – noch vor der Migration und dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Diese Herausforderungen könne man am besten lösen, „wenn wir die Interessen anderer mitbedenken“.
Kommt jetzt die längst überfällige klimapolitische Wende? Nimmt die Regierungschefin die Klimaziele nun ernst? Können wir mit einem geplanten, zügigen Kohleausstieg rechnen? Wird die viel beschworene Verkehrswende endlich angepackt?
Versprochen, gebrochen
Wahrscheinlich ist das nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass Merkel in ihrer Neujahrsansprache vor der Klimakrise warnt, wie eine Auswertung der Datenjournalisten Simon Pfeiffer, Anton Peez und Paul Ostwald, die unter Namen Einfacher Dienst firmieren, zeigt. Immerhin acht Mal sprach Merkel von der Dringlichkeit des Klimaschutzes während ihrer bisher 14 Ansprachen.
Oft waren Merkels Aussagen zum Klimawandel auch nicht mehr als kurze Phrasen. Zum Beispiel in der Ansprache zum Jahr 2011: „Wir gehen den Weg zur modernsten Energieversorgung der Welt, die Klima und Umwelt schont und bezahlbar ist“, verkündete Merkel damals.
Doch ein paar Jahre später bekamen die erneuerbaren Energien den sogenannten „atmenden Deckel“ verpasst, eine Ausbau-Bremse. Und mit Jahresbeginn 2017 erfolgte die Umstellung von der garantierten Einspeisevergütung für Ökostrom auf Ausschreibungen. Die Boomjahre beim Ausbau der Erneuerbaren waren da längst Geschichte.
Eine weitere Kostprobe gefällig? Zum Jahreswechsel auf 2008 sagte Merkel, Deutschland nehme seine gewachsene Verantwortung in der Welt wahr, „indem wir uns mit ganzer Kraft für den Schutz des Klimas einsetzen“. Unmittelbar vorher war das „Klimaziel 2020“ beschlossen worden, wonach die Treibhausgasemissionen Deutschlands bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden sollen.
Seither ist viel zu wenig passiert. Mit „ganzer Kraft“, wie Merkel damals versprach, hätte das Ziel erreicht werden können. Doch auch das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz konnten die absehbare Lücke nicht füllen. Und so hat die Bundesregierung schließlich im vergangenen Jahr ihr Klimaziel für 2020 aufgegeben.
In ihren Ansprachen widmet Merkel dem Klima meist nur ein paar Sätze. Dieses Jahr war das anders – und schon einmal zu Silvester 2009, unmittelbar nachdem der Klimagipfel in Kopenhagen gescheitert war und nicht die erwartete verbindliche Nachfolgeregelung für das Kyoto-Protokoll brachte.
„In Kopenhagen haben wir guten Willen und Bereitschaft zum Handeln erlebt, aber leider eben auch viel Zögern und Eigensinn“, sagte die Kanzlerin damals. Sich davon entmutigen zu lassen sei falsch. Deshalb kündigte Merkel an: „Vor allem aber wird Deutschland seine eigene Wirtschaftsweise mit ganzer Kraft hin zu mehr Nachhaltigkeit umbauen.“
Meinte Merkel damals die Autobauer, die den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität verschlafen haben und trotz des Einsatzes manipulierender Software und weithin drohender Fahrverbote bis heute von der Politik gestützt werden? Oder den Güterverkehr, der immer mehr Waren auf der Straße befördert statt auf der Schiene?
Es wäre nicht die erste Politikwende
Was auch immer Merkel in ihren bisherigen Neujahrsreden be- und versprach, mit der tatsächlichen Klima- und Energiepolitik hatte es nicht viel zu tun. Das lässt sich schon an ihrer Ansprache für das Jahr 2007 zeigen. Damals sollte „unsere Energieversorgung effizienter“ gemacht und der Klimaschutz vorantrieben werden. De facto aber handelte die Regierung bei der Energiesparpolitik seitdem nur zögerlich oder gar nicht.
Merkel verwendete 2007 jenen schlichten Satz gleich mehrmals, den sie auch schon in ihrer ersten Ansprache als Bundeskanzlerin gebrauchte: „Überraschen wir uns damit, was möglich ist!“ Dass die Bundeskanzlerin in inhaltlichen Fragen für Überraschungen und Kehrtwendungen gut ist, hat sie schon mehrfach gezeigt. Zum Beispiel 2011, als sie mit dem eilig beschlossenen Atom-Moratorium nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima den Ausstieg vom Atomausstieg zurücknahm.
Da Merkel nach dieser Legislaturperiode keine politischen Ämter mehr wahrnehmen will und deshalb auch nicht fürchten muss, bei Wahlen abgestraft zu werden, könnte sie nun den klimapolitischen Turbo einlegen und all die versäumten Gesetze wie für den Kohleausstieg oder die Gebäudesanierung auf den Weg bringen. Man möchte ihr zurufen: „Frau Merkel, überraschen Sie uns damit, was möglich ist. Und fangen Sie einfach an – ab morgen früh“.
ein Kommentar von
Sandra Kirchner
Quelle: www.klimareporter.de, 1.1.2019