Genehmigte Tagebaue in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt dürfen insgesamt nur zur Hälfte ausgekohlt werden – um hier Planbarkeit und Sicherheit zu schaffen, ist ein nationaler Kohlekonsens nötig
Damit Deutschland seine Klimaschutzziele für 2030, 2040 und 2050 erfüllen kann, muss etwa die Hälfte der derzeit noch zur Förderung genehmigten Braunkohlevorräte unter der Erde bleiben. Grund dafür ist, dass die derzeit in der Lausitz und im Mitteldeutschen Braunkohlerevier geplanten Aufschlüsse neuer Tagebauabschnitte ebenso wie die aktuellen Braunkohleplanungen in Nordrhein-Westfalen im Widerspruch zu den nationalen und internationalen Klimaschutzzielen stehen. Um diesen aufzulösen, sollte die Bundesregierung einen runden Tisch „Nationaler Kohlekonsens“ einberufen, an dem Bund, Länder und die betroffenen Akteure zeitnah die Bedingungen eines schrittweisen Kohleausstiegs bis 2040 vereinbaren. Mit einem solchen Vorgehen lassen sich sowohl die nationalen Klimaschutzziele erreichen als auch positive Entwicklungsperspektiven für die heutigen Braunkohleregionen schaffen. Das sind die Kernpunkte des Impulspapiers „Was bedeuten Deutschlands Klimaschutzziele für die Braunkohleregionen“, das das unabhängige Denk-und Politiklabor Agora Energiewende jetzt vorgelegt hat.
„Wer heute noch in großem Rahmen in Braunkohle investiert, geht ein sehr hohes Risiko ein: Er wettet darauf, dass die aktuelle oder eine künftige Bundesregierung die schon mehrfach bekräftigten Klimaschutzziele aufgibt. Dabei wird nach dem Pariser Klimaabkommen eher über noch ambitioniertere Ziele diskutiert“, sagt Dr. Patrik Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Es ist deshalb viel wahrscheinlicher, dass die Braunkohleplanungen der Bundesländer mittelfristig an die Realitäten des internationalen Klimaschutzes angepasst werden und deshalb ein Großteil Braunkohle im Boden bleibt. Für diesen Fall sollte die Gesellschaft vorsorgen und schon heute sicherstellen, dass genügend Mittel für die dann trotzdem notwendige Rekultivierung der ehemaligen Tagesbaue vorhanden sind. Dazu sollte ein Teil der Erlöse aus den Tagebauen jetzt gesichert werden, etwa in einem öffentlich-rechtlichen Fonds.“
Das von Agora Energiewende vorgelegte Papier skizziert die schrittweise Stilllegung der deutschen Braunkohlkraftwerke im Einklang mit den Klimaschutzzielen und die sich daraus ergebende Auskohlung der Braunkohlereviere in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier sowie im Rheinischen Braunkohlerevier. Für letzteres werden unterschiedliche Varianten diskutiert. Dabei wird die enge ökonomische Verknüpfung der Tagebaue mit den ihnen zugeordneten Kraftwerken berücksichtigt, um so genannte Dominoeffekte zu vermeiden. Darüber hinaus sollen die Unternehmen die Möglichkeit erhalten, den detaillierten Ausstiegsfahrplan in den Revieren betriebswirtschaftlich zu optimieren.
Für Nordrhein-Westfalen schlägt das Papier die Stilllegung des Tagesbaus Inden mit dem daran angeschlossenen Kraftwerk Weisweiler bis 2023 vor. Die modernsten Kraftwerksblöcke an den Standorten Niederaußem und Neurath können noch bis 2032 beziehungsweise bis 2039 laufen. Für die Stilllegung der zugehörigen Tagebaue Garzweiler II und Hambach werden mehrere Optionen diskutiert: Zum Beispiel eine stärkere Fokussierung auf den Tagebau Hambach ab etwa Mitte der 2020er Jahre. In diesem Fall könnte der Tagebau Garzweiler II zu einem deutlich geringeren Maße ausgekohlt werden als derzeit von der NRW-Landesregierung in der angekündigten neuen Braunkohle-Leitentscheidung vorgesehen und etwa auf Höhe der Autobahn 61 enden. Dadurch könnte auf die Umsiedlung einiger zusätzlicher Ortschaften verzichtet werden. In einer weiteren Variante würde die Braunkohleförderung stärker auf den Tagebau Garzweiler II konzentriert, so dass ein Teil des Hambacher Forstes erhalten bleiben könnte.
Für das Lausitzer Revier schlägt das Papier die Stilllegung der dortigen Kraftwerke bis 2039 vor – angefangen mit den vergleichsweise alten Blöcken in Jänschwalde bis 2025. Als letztes würde der modernste Block R am Standort Boxberg im Jahr 2039 stillgelegt. Bei einem solchen Vorgehen könnte auf den Neuaufschluss der Tagebauabschnitte Welzow-Süd II, Nochten II und Jänschwalde Nord verzichtet werden. Die Umsiedlung der Orte Rohne, Mulknitz, Schleife, Mühlrose, Trebendorf (alle Tagebau Nochten), Proschim, Welzow (Tagebau Welzow-Süd II) sowie Grabko, Kerkwitz und Atterwasch (Tagebau Jänschwalde Nord) würde damit überflüssig. Die für den Betrieb der Kraftwerke bis zu deren Stilllegung noch notwendige Braunkohle könnte aus den bereits bestehenden Tagebauen gewonnen werden. Deren Vorräte würden ausreichen, weil mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auch der Brennstoffbedarf sinkt.
Im Mitteldeutschen Revier würden alle dortigen Kraftwerke – bei ihnen handelt es sich im Mittel um die jüngsten Kraftwerke der deutschen Flotte – in den Jahren 2031 bis 2033 geschlossen. Infolgedessen würden die Tagebaue Profen und Vereinigtes Schleenhain deutlich weniger ausgekohlt werden müssen als bislang vorgesehen.
Patrick Graichen: „Der schrittweise Ausstieg aus der Braunkohleverstromung ist eine große Aufgabe. Sie verlangt den Braunkohleregionen, den Beschäftigten und den Unternehmen viel ab. Daher ist es wichtig, dass wir diesen Strukturwandel umsichtig gestalten. Es ist keine gute Idee, darauf zu warten, dass er eines Tages von selbst passiert. Denn dann geht es sehr schnell und für ein abgestimmtes, sozialverträgliches Vorgehen wird die Zeit fehlen. Geld wird der Strukturwandel auch dann kosten – aber mit Sicherheit mehr als wenn er jetzt kontrolliert, Schritt für Schritt und im Konsens erfolgt.“
Das Papier „Was bedeuten Deutschlands Klimaschutzziele für die Braunkohleregionen“ formuliert das im Januar von Agora Energiewende vorgestellte Papier „Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens“ aus. Beide Papiere sind auf www.agora-energiewende.de zum Download verfügbar.
Quelle: Agora Energiewende, 12. April 2016
www.agora-energiewende.de
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vgl. Älteste und klimaschädlichste Braunkohlewerke nicht im Interesse Nordrhein-Westfalens